Was bewegt einen Bildhauer?

Jo Jastram

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Die Extreme sind rasch genannt, Madame Tussaud nämlich oder Joseph Beuys, genauer: die Plastik als Abklatsch oder der Abfall als Plastik. Wie immer man es auch drehen und wenden mag: das rasche Wiedererkennen, der Mimetismus um jeden Preis hier und die selbstgebastelte Metaphysik dort rücken das aus dem Blickfeld, was der Bildhauerei eigen ist. Der Maler arbeitet mit einer Fläche, mit einer auf ein Viereck gespannten Leinwand also, die im Verfolg der frühen Avantgarden zunehmend zum Protagonisten wurde. Ums noch einmal von einem Extrem her zu definieren: mit Mondrian und Malewitsch, die eine solche Fläche nur noch wiederholten und variierten, ist ein Endpunkt erreicht worden, den aufzulösen erst dann möglich war, als die Maler neu überdachten, was für sie Raum war und was nicht. Denn Raum in der Malerei bedeutet keine Gegebenheit, sondern eine Metapher: es geht darum, in die auf das Viereck gespannte Fläche eine dritte Dimension einzuzeichnen, ohne diese Fläche zu durchlöchern. Die Plastik hingegen, paradoxerweise vorab schon ein Kunstgebilde, das allerdings in einem realen Raum steht, hat Metaphern dieser Art nie gekannt. Wenn für den Maler die viereckige Fläche die Grundform ist, so ist sie für den Bildhauer der Block. Das körperliche Gebilde aber, das er herstellt, existiert nicht allein im realen Raum: es muß diesen Raum entweder abweisen oder absorbieren. Verkürzt gesagt, der Block ist von sich aus die simpelste Lösung: real im realen Raum, nimmt er einen Teil davon in Beschlag und lädt den Beschauer ein, sich den Rest weg- zudenken. Er soll nunmehr sein Augenmerk aufs Volumen, aufs Zeichen im Raum, auf das Ereignis also richten, das der Bildhauer veranstaltet hat.

Dieser Veranstaltung verleiht Jo Jastram eigene Züge. Er läßt, souverän, besagte Extreme außer Acht und hält sich dafür an Schnittpunkte. Er selber benutzt mit Vorliebe das Wort »Genauigkeit«. Nimmt man, um ein Beispiel zu nennen, das auf dem Rücken liegende, die Beine von sich streckende Pferd, so ergibt der Körper zwar den Block, die Beine aber überschneiden den Raum; ihre Zeichenhaftigkeit stattet sowohl den Leib, aus dem sie ragen, wie den Raum, der sie umgibt, mit jener Künstlichkeit aus, ohne die sich unweigerlich der Abklatsch oder der Abfall einstellt. »Künstlichkeit« kann ein durchaus fragwürdiger Begriff sein. Für Jo Jastram gilt das schon deshalb nicht, weil er Figuren modelliert, im landläufigen Sinn also ein »gegenständlicher« Bildhauer ist: die Künstlichkeit, besser vielleicht: das Kunstvolle des Pferdes soll aufs Pferd verweisen, nicht auf eine Denkaufgabe in Bronze.

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Dem Alter oder der Intention nach könnte Jo Jastram zu jener Generation britischer Bildhauer gehören, die dem Gegenstand Tribut zollten und der Form eine gebührende Ehre erwiesen. Irgendetwas jedoch muß bei Chadwick, Armitage und Butler schief gelaufen sein. Sie stehen heute vor Trümmern, von denen man nicht weiß, ob Figuren oder Formen unter ihnen begraben liegen. Die Spannkraft ist dahin und mit ihr der Übergriff auf Raum und Realität. Anders Jastram, dessen Fähigkeit zu Übergriffen intakt geblieben ist. Zwei Dinge dürften dabei die tragende Rolle gespielt haben. Einmal die Selbstverständlichkeit, daß jede seiner Skulpturen ihre »Genauigkeit« nicht allein aus dem Material, nicht einmal aus dem unverzagten Raumverständnis bezieht, sondern aus der Tatsache, daß Form und Figur von einem Gebrauchswert bestimmt werden, ja, um mit Brecht zu sprechen, von einem Leiden der Brauchbarkeit. Wo ansonsten ein Bildhauer, auch in den heroischen Zeiten der frühen Avantgarden, Ziel und Zweck zersplittern, wenn nicht gar annullieren mußte, verlagert Jastram die Brauchbarkeiten, die er sich abverlangt, samt ihrer Leiden in die Arbeit. Das bringt eine Dramatik zustande, von der Kunstmarkt-Künstler nur träumen können.

Das zweite ist auf den ersten Blick ein technisches Problem. Was bewegt einen Bildhauer? Die Arbeitsresultate nehmen sich doch statisch aus: Stein und Bronze unterliegen der Schwerkraft. Jastrams Figuren, das Pferd oder, ein anderes Beispiel, »Die Ringer«, die auf der 6. Documenta ausgestellt waren, sind zwar förmlich eingefroren, ihr Bewegungsablauf ist angehalten.

Allein, nichts ist damit abgemacht oder fixiert: und wenn alles auftaut und in eine neue Bewegungsphase übergeht? Die Genauigkeit heißt auch, daß Jastram mit seiner Bildhauerei eine uns gemäße Modernität in Anspruch nimmt. Die Ringer, das Pferd, die Bas-Reliefs oder die Figuren in öffentlichen Räumen sind Teile einer Sequenz, wie der Film sie weiterlaufen lassen könnte, die der Bildhauer hingegen, weil sich Plastik nun einmal nicht bewegt, als Bewegungsmöglichkeit förmlich beim Schopf zu packen und gleichermaßen derart plausibel anzubieten hat, daß der Beschauer nicht nur um dieses Angebot herumgehen, sondern die Figur, umgekehrt, auch den Beschauer umkreisen kann. Man muß Jastram, der übrigens ein hervorragender Lehrer ist, einmal zuhören, wie er Bewegung und Ruhepunkte, Zeichen und Bezeichnungen anhand von Beispielen und Modellen auf das einfachste erklärt. Natürlich spricht er zunächst einmal vom Pferd und seiner Liebe zu Pferden, bevor er auf die notwendigen Formalitäten kommt. Andernfalls stände er heute vor britischen Trümmern.

Hans Platschek

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