Jo Jastram und Johannes Müller

Was mich an Jo Jastrams Arbeiten immer wieder interessiert: Er beginnt aus dem vollen Erleben heraus. Den Gegenstand seiner Arbeit geht er unmittelbar an, und zwar in dessen widersprüchlicher Ganzheit, vergleichbar etwa einem Erzähler, der, genau beobachtend, drastisch und auch humorvoll auch mehrere Aspekte zugleich aufzeigt. Die Logik des zu gehenden bildnerischen Weges ist keine kalt errechnete. Es ist da ein Reichtum, eine Freude am Fabulieren.

Ein Detail an seinem Brunnen in Rostocks Langer Straße hat mich lange Zeit beschäftigt, besser: der Bezug dieses Teils zum Ganzen. Es sind zwei Möwen, die eine fliegt »vor« einem Strandkorb vorbei, die andere - daneben - »vor« freiem Himmel. Als die Veränderung einer erlebbaren Situation für mich Motiv genug, Wirklichkeit darzustellen, ist es für ihn ein Vorgang neben vielen anderen, eingebunden in die vielfältige Ordnung des ganzen Brunnenreliefs, eines kleinen Kosmos. Die genau beobachtende Realistik seiner Porträts, die knollige, Gewachsenes darstellende Art seines Modellierens, vor allem bei seinen Pferdeplastiken, gehört zu dieser lebendigen Möglichkeit seines Arbeitens. Seit seiner ersten künstlerischen und kulturellen Wirksamkeit hat Jastram aus diesem reichen Reservoir geschöpft: in seiner Arbeit, Schülern gegenüber, ganz wesentlich in seiner Mitarbeit an künstlerischen und städtebaulichen Aufgaben, die die ganze Stadt betreffen.

Von Anfang an trafen wir uns zu kollegialem Gespräch. Es gibt aber ein Jahr, 1971, da verlagerten sich unsere Gespräche ausschließlich in sein Atelier und waren ein Teil gemeinsamen Arbeitens. Jastram, beschäftigt mit dem Porträt, wollte auch von mir einen Kopf modellieren. Nach den Sitzungen zeichnete ich sein Atelier und ihn bei der Arbeit. Ich blieb auf meinem Stuhl sitzen, brauchte mich nur etwas umzudrehen, und mit jeder Veränderung des Blickwinkels bot der Raum mit seinen herumstehenden Gegenständen überraschende Motive. Zwischen uns herrschte ein stilles Einvernehmen, man ließ den anderen machen. Ich hatte alles, was ich zum Malen brauchte - er hatte zu tun an seinem Vorhaben.

Natürlich war ich nicht der einzige Gast dort. Während viele andere mit wichtigen und unwichtigen Fragen kamen und wieder gingen, blieb ich - fast ein Jahr lang. Saßen wir dann, wenn es zum Arbeiten zu dunkel wurde, im Dämmerlicht zwischen den Arbeiten und den nun kaum noch erkennbaren Dingen, war unsere Arbeit auf eine seltsame Weise noch nicht zuende. Jeder von uns hätte nach Hause gehen können. Doch nun fingen die Dinge zu sprechen an - und wir mit ihnen. Das gegenseitige Sich-aufmerksam-machen und kritische Sehen - es lebt zwischen uns als produktive Anregung zur Arbeit fort.

Johannes Müller

(aus dem Katalog: Jo Jastram Plastik v. 1989)

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